19.12 Uhr: Kind, 7 Jahre, bewusstlos
Keine weiteren Informationen,
Parallelalarmierung mit RTW
Bei Eintreffen des NEF/der Rettung ist Maxl (wieder) bei Bewusstsein; somit kann besagter soporöser Zustand auf ca. 10min begrenzt werden. Maxl wirkt zum Zeitpunkt der ersten Status-Erhebung sehr abwesend und nicht kontaktfähig. Auffällig sind die deutlich geweiteten Pupillen beidseitig, diese sind kaum lichtreagibel aber isokor. Maxl bewegt alle vier Extremitäten (kein eindeutiger Ausfall zu erheben), wird allerdings repetitiv „gebeutelt“ von bizarr anmutenden Bewegungen, die, wenngleich schwer zu beschreiben, klinisch am ehesten Strecksynergismen gleichen. Ferner überdehnt sich Maxl auffällig (fraglicher Ophistotonus) und knirscht stark mit seinen Zähnen (das sei laut Mutter allerdings schon länger bekannt).
Im Verlauf der nächsten Minuten „klart“ Maxl etwas auf und beginnt wieder zu sprechen. Er ruft nach Mama und Papa und beklagt einen starken Schwindel. Er folgt nun einfachen motorischen Aufforderungen (u.a. „gib mir deinen linken Arm, gib mir deinen rechten Arm, zeig mir die Zunge“). Hier lässt sich kein neurologisches Defizit i.S. einer Parese/eines motorischen Ausfalls erheben; eine Nackensteifigkeit bzw. meningeales Reizsyndrom liegt nicht vor. Maxl beantwortet nun einfache Fragen selbst. Er ist zur Person, nicht aber situativ oder zeitlich orientiert. Ein Trauma wird negiert („bist du gestürzt, vielleicht beim Turnen in der Schule?“). Übelkeit und Erbrechen werden ebenso negiert. Verletzungen lassen sich keine erheben. Zungenbiss oder Harnabgang sind nicht objektivierbar.
Außenanamnese
Mutter und Vater sind im Zimmer anwesend; es wird versucht, hier noch ergänzende Informationen zu erhalten (Mutter wirkt etwas gedämpft, leicht überfordert, jedenfalls aber gefasst, aufrichtig besorgt und beantwortet suffizient die ihr gestellten Fragen; der Vater (nicht der leibliche, sondern der Lebensgefährte der Mutter) ist ordentlich gekleidet, wirkt frisch, agil, sehr bemüht um seinen Sohn, minimale Sprachbarriere (nicht österreichischer Herkunft).
Die parallel erhobenen Vitalparameter bzw. das laufende Monitoring sind zufriedenstellend:
Differentialdiagnostisch geht dem Notarzt zu diesem Zeitpunkt Folgendes durch den Kopf: 1) aufgrund des Gebarens und der Mydriasis wäre eine Intoxika...
1) aufgrund des Gebarens und der Mydriasis wäre eine Intoxikation möglich („wäre der Bub nicht 7 Jahre alt, würde ich von einer Intoxikation ausgehen“). Diese Möglichkeit wird von den Eltern klar verneint (haben Sie Medikamente herumliegen? zB Antidepressiva oder Schlaftabletten?“; „Könnte es sein, dass Maxl etwas geschluckt hat?“)
2) aufgrund des neurologisch/kognitiv alterierten Zustandes ist auch eine infektiöse Genese möglich (zB Enzephalitis? „am ehesten passt das zu einem infektiösen Geschehen, vermutlich mit Beteiligung des Gehirns“). Zu dieser Zeit wird medial auch über die steigenden de novo Masern-Infektionen in Österreich berichtet. Maxl sei aber in letzter Zeit nicht krank gewesen, auch seien in der Schule nicht überdurchschnittlich viele Kinder krank. Jegliche Vorerkrankung wird vonseiten der Eltern negiert („bestehen irgendwelche Erkrankungen bei Maxl, insbesondere eine neurologische Erkrankung, zB ein bekanntes Krampfleiden?“). Der erfragte Impfstatus ist komplett.
Es folgt nun der Entscheid zur Verbringung des Kindes in die Kinderklinik unter Arztbegleitung. Dem Krankenhaus wird via Leitzentrale ein „ 7jähriges...
Es folgt nun der Entscheid zur Verbringung des Kindes in die Kinderklinik unter Arztbegleitung. Dem Krankenhaus wird via Leitzentrale ein „7jähriges Kind mit unklarer Neurologie, hämodynamisch und respiratorisch stabil“ angekündigt.
Während der Fahrt (ca. 5min, Liegendtransport) quengelt Maxl nun zunehmend hinsichtlich des Schwindels und fragt repetitiv nach seinen Eltern („wo ist Mama, wo Papa“ - die Mutter sitzt zu diesem Zeitpunkt direkt neben ihm). Er wird insgesamt unruhiger, fahrig und klagend. Klinisch auffallend sind eine zunehmende Blässe, Schweißperlen am Kopf und eine zitternde Unruhe bei steigender Herzfrequenz (bis 150bpm) und, bei Eintreffen in der Kinderklinik, eine eindrucksvolle periorale Blässe (blasse Haut um den Mund herum).
Der Notarzt übergibt die obigen Befunde und Anamnese unter dem Verdacht einer möglichen Infektion (...
Der Notarzt übergibt die obigen Befunde und Anamnese unter dem Verdacht einer möglichen Infektion (susp. Enzephalitis) DD Intoxikation DD Epilepsie b...
Der Notarzt übergibt die obigen Befunde und Anamnese unter dem Verdacht einer möglichen Infektion (susp. Enzephalitis) DD Intoxikation DD Epilepsie bei insgesamt doch eher inkonklusiver Befundkonstellation an die pädiatrische Assistenz- und Oberärztin.
Im Akut-Labor findet sich ein unauffälliger Befund (CRP <0,1mg/dl, Leuko 8,45G/L, Lactat in der BGA 2,8mmol/l, E´lyte i.d. Norm). Der Erstverdacht der pädiatrischen Kolleginnen und Kollegen vor Ort laut Aufnahmestatus „V.a. zerebralen Krampfanfall DD Fieberkrampf“.
Aufgrund des starken Schwitzens und der Unruhe wird (bei suspizierten Schmerzen) Paracetamol intravenös verabreicht, allerdings „ohne merkbaren Erfolg“. Weiterführend wird ex juvantibus Rivotril gespritzt, „welches kaum Besserung brachte“. Bei weiterhin roter Gesichtsfarbe, starkem Schwitzen und perioraler Blässe wird die Medikation um Fenistil und Urbason iv ergänzt, was „lediglich zu einer Besserung des dermatologischen Zustandes führte“.
Bei persistierender Klinik und nun auch beginnend visuell halluzinierendem Maxl erfolgt der Entscheid zur Durchführung eines Akut-CCT, wobei sich organisch kein Korrelat fassen lässt („Untersuchung ist durch deutliche Bewegungsartefakte beeinträchtigt … eine eindeutige Blutung ist nicht dargestellt … kein RF Hinweis“).
Im Verlauf der nächsten Stunden konsolidiert sich der vegetative Zustand. In den Nachtstunden berichtet ein noch sichtlich deliranter Maxl gegenüber der pädiatrischen Oberärztin, im Schlafzimmer des Vaters „Tabletten mit Totenkopf“ gefunden und genommen zu haben (Maxl bestätigt diese Aussage am darauffolgenden Tag in wachem und orientiertem Zustand). Das veranlasst die Kolleginnen und Kollegen zur Abnahme eines Drogenharns, welcher positiv auf Ecstasy, Amphetamin und Metamphetamin ausfällt. Das Rätsel ist gelöst. Der anfängliche Verdacht bestätigt sich (zur Überraschung aller. Niemand hätte ernsthaft mit einer derartigen Intoxikation bei einem 7jährigen gerechnet). Letztlich wird, in Zusammenschau von Klinik und Befunden, der Zustand als „schwere Drogen-Intoxikation“ gewertet bzw. diagnostiziert.
Noch während des Krankenhausaufenthaltes von Maxl wird Anzeige wegen Kindesgefährdung erstattet; Kinderschutzgruppe und Sozialarbeit werden involviert. Trauriger Abschluss dieses Falles ist die Kindesabnahme.
Nach einer – mehr zufälligen – Ausbildung zum Rettungssanitäter im Rahmen des Präsenzdienstes beim österreichischen Bundesheer hat Stephan Kalb die Begeisterung für das Rettungswesen gepackt. Dadurch angespornt absolvierte er das Studium der Humanmedizin in Wien mit anschließender Ausbildung zum Allgemeinmediziner am Krankenhaus der Elisabethinen Linz und die Ausbildung zum Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin im LKH Freistadt und dem Kepler Universitätsklinikum.