Epilepsie gehört zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Im ersten Lebensjahr ist die Inzidenz mit 118 von 100 000 Kleinkindern pro Jahr besonders hoch. Eine, in jungem Alter, beginnende Epilepsie führt sehr häufig zu Einbußen in der kognitiven Entwicklung mit einer schlechten Langzeitprognose, insbesondere dann, wenn eine hohe Anfallsfrequenz vorliegt.
Häufig zeigen diese Kinder zusätzlich zu den epileptischen Anfällen eine psychomotorische Entwicklungsverzögerung teilweise mit deutlichen Verhaltensauffälligkeiten. Antiepileptika (AEDs) sind die Mittel der ersten Wahl für die Behandlung von epileptischen Anfällen und 40 bis 50 Prozent aller Patientinnen und Patienten werden mit dem ersten Antiepileptikum anfallsfrei. Leider haben aber 50 bis 60 Prozent der Kinder weiterhin Anfälle und benötigen ein zusätzliches zweites oder auch mehrere Antiepileptika. Letztendlich leiden aber, trotz großen Fortschritten in der Erforschung neuer Medikamente, viele der kleinen Patientinnen und Patienten trotz der Einnahme von mehreren AEDs weiterhin Anfälle. Dann spricht man von einer „therapierefraktären Epilepsie“. Das bedeutet, dass zwei gut gewählte und gut dosierte Medikamente nicht zur Anfallsfreiheit geführt haben.
Kindern mit therapierefraktärer Epilepsie kann die Möglichkeit eines epilepsiechirurgischen Eingriffs angeboten werden. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen einer fokalen Epilepsie, bei der der Anfallsursprung nur an einer Stelle im Gehirn liegt. Zusätzlich muss abgeklärt werden, ob der Eingriff auch sicher durchgeführt werden kann und der Anfallsursprung nicht in einer wichtigen (eloquente) Region, wie z.B. im Sprach- oder motorisches Areal, liegt. Diese prächirurgische Abklärung und in weiterer Folge der operative Eingriff wird von einem multidisziplinären Team durchgeführt. Ziel ist es, die Anfälle genau zu lokalisieren (mittels prolongierten Video-EEG-Monitoring, SPECT Untersuchungen oder auch high Density EEG) und eventuelle Veränderungen im Gehirn zu detektieren (MRT und PET-Untersuchungen).
Gesucht wird nach einer umgrenzten Hirnläsion – beispielsweise gutartige Tumore, Fehlbildungen der Hirnrinde, Narben oder ein Nervenzellverlust im Hippocampus. Weiters ist auch eine neuropsychologische Testung notwendig. Dies dient einerseits dazu, schon bestehende Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensprobleme zu erkennen, aber auch um gezielt Teilleistungsschwäche – welche auf einen fokalen Anfallsursprung hinweisen – aufzuzeigen. Zusätzlich kann dadurch auch die zukünftige Rehabilitation gesteuert werden. Denn gerade im Kindesbereich ist die Operation oft nur der erste Schritt. Wenn die Kinder nach dem Eingriff Anfallsfreiheit erreichen, können die durch die Anfälle entstandenen Schwächen besser trainiert werden.
„Das kindliche Gehirn befindet sich noch mitten in der Entwicklung. Aus diesem Grund sind die EEG-Veränderungen oft nicht so eindeutig wie im Erwachsenenbereich. Auch ist das klinische Bild von Anfällen ist oft anders, da sich gewisse Funktionen oder Leitungsbahnen noch nicht fertig ausgebildet sind. Bei großflächigen Veränderungen der Hirnrinde könnten eloquente Areale auch oft ganz wo anders liegen, als erwartet. Da viele Untersuchungen nur in Narkose durchführbar sind, stehen auch nicht alle (im Erwachsenenbereich möglichen) Untersuchungen zur Verfügung. Zum Beispiel geht eine Sprachtestung mittels funktionellen MRT in Narkose nicht. Auf der anderen Seite ist die noch nicht abgeschlossene Hirnentwicklung ein Vorteil, da andere Hirnareale leichter Aufgaben übernehmen können und somit eine bessere Rehabilitation ermöglich wird“, sagt Priv.-Doz.in OÄ Dr.in Gudrun Gröppel, Klinik für Neurologie 1 und Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde.
„Wir wissen heute, dass bei therapieresistenten Epilepsien durch frühzeitig durchgeführte Eingriffe, wie Hirnteilentfernungen oder Durchtrennung von Nervenbahnen, Anfallsfreiheit (teilweise weit über 80 Prozent) oder zumindest eine deutliche Verbesserung der Anfallssituation erreicht werden kann. Somit kann es gelingen, kognitive Einbußen und neurologische Auffälligkeiten zu verhindern.
Epilepsiechirurgie benötigt gerade im Kindesbereich, ein hochspezialisiertes Team, da unsere Patientinnen und Patienten keine kleinen Erwachsenen, sondern Kinder sind. Dies gilt insbesondere für die Operation, aber auch die präoperative und postoperative Betreuung hinsichtlich Anästhesie, Pflege und sozialer Betreuung der gesamten Familie,“ sagen OA Dr. Christian Auer und Univ.-Prof. Dr. Gruber, Universitätsklinik für Neurochirurgie.
Durch diese epilepsiechirurgischen Eingriffe können die Chancen der Kinder auf eine altersadäquate Entwicklung wesentlich verbessert werden. Das jüngste kürzlich am Kepler Universitätsklinikum operierte Kind war drei Monate alt. Der Eingriff ist sehr positiv verlaufen. Die Lebensqualität der Familie konnte schon jetzt, so kurz nach dem Eingriff, deutlich verbessert werden.
„An der Klinik für Neurologie 1 ist eine Epilepsiechirurgische Behandlungseinheit auf ausgezeichnetem medizinischen Niveau etabliert. Seit nunmehr einem Jahr besteht eine verstärkte Kooperation der Klinik für Neurologie 1 mit der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde am Med Campus IV., um den steigenden Bedarf der Epilepsiechirurgie im Kindesalter decken zu können. Die Kinder werden je nach Bedarf der durchzuführenden Untersuchungen an der jeweiligen Klinik abgeklärt. Auf diese Art werden die Ressourcen optimal ausgenützt“, betonen Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Högler, Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde und Priv.-Doz. Dr. Tim J. von Oertzen, FRCP, FEAN, Vorstand der Klinik für Neurologie 1.
„Zusammenfassend steht fest, dass Kinder einerseits durch epileptische Anfälle schwerer in ihrer Entwicklung und in der Lebensqualität betroffen sein können, aber durch die Plastizität sich auch besser erholen. Somit ist die Epilepsiechirurgie eine viel versprechende und auch sichere Methode diesen kleinen Patientinnen und Patienten zu helfen“, sind sich die Epilepsie- Expertinnen und Experten am Kepler Universitätsklinikum einig.